Kein Weihnachten wie das andere – unterm Baum bei Familie Hinrichs

Seit 2015 ist Seth Hinrichs Basketball-Profi, spielte in Portugal, Deutschland und Spanien. Traditionelle Weihnachten hat er seit seiner Collegezeit nicht mehr gefeiert, dafür viele unbezahlbare Erinnerungen gewonnen.

Als Seth Hinrichs im Jahr 2014 mit seinen drei älteren Brüdern und den Eltern auf der familieneigenen Schweine-Farm im beschaulichen Minnesota Weihnachten feierte, war ihm wohl noch nicht bewusst, dass er jahrelang liebgewonnene Traditionen vorerst zum letzten Mal erleben würde. „An Heiligabend waren wir immer als Familie zusammen, haben zusammen gegessen. Am ersten Weihnachtsfeiertag haben wir dann die Geschenke geöffnet, waren beim Gottesdienst und haben uns dann mit weiteren Verwandten getroffen“, erinnert sich Seth Hinrichs. Es war beschaulich, vertraut, die Atmosphäre gemütlich. Deutlich ausgefallener ging es auf dem Teller zu. „Wir haben erst viel ausprobiert – Hühnchen, Rind, Schwein gab es sowieso. Eines Jahres standen dann frittierte Garnelen auf dem Tisch. Das ist so gar nicht typisch amerikanisch. Aber wir sind fortan dabeigeblieben“, beschreibt Seth Hinrichs ein für Außenstehende auf den ersten Blick vielleicht sonderbar anmutendes Weihnachts-Ritual. Seine Frau Andrea hat sich aber ebenso schnell in die ‚Shrimps-Tradition‘ verliebt, wie in den 2,01 Meter großen Basketballer. Kennengelernt haben sich beide an der Maccray High School. Seitdem gehen sie gemeinsam durchs Leben – auch eine Fernbeziehung während Seth‘ Zeit am Lafayette College konnte dem gemeinsamen Glück nichts anhaben. Kurz bevor der Forward seinen ersten Profivertrag in Portugal unterschrieb, läuteten die Hochzeitsglocken.

Seit dem Wechsel über den großen Teich war kein Weihnachten mehr wie das andere. „Abhängig vom Spiel- und Trainingsplan gestaltet sich jedes Jahr unterschiedlich. Wir müssen also immer von neuem schauen, was möglich ist“, berichtet die gelernte Krankenschwester Andrea. „In den ersten Jahren hatten wir immer frei. Wir waren zuerst in Rom, von Kirchheim aus ging es dann nach Salzburg und in meinem ersten Jahr in Vechta sind wir durch Belgien und die Niederlande gereist“, erinnert sich Seth an die innereuropäischen Weihnachtstrips. Zu verreisen, neue Städte zu erkunden, gemeinsame Erinnerungen zu schaffen, das ist ein Privileg, das der Beruf des Basketball-Profis mit sich bringt. Wie in der Ehe heißt es aber auch in puncto Erinnerungen, in guten wie in schlechten Zeiten. „Während der Reise durch Österreich hatte ich mir in Wien eine Lebensmittelvergiftung oder so zugezogen. Ich habe zum ersten Mal in meinem Leben Weißwurst gegessen – niemand hat mir gesagt, dass ich die Haut lieber nicht mitessen sollte. Mir ging es richtig schlecht“, erzählt Seth Hinrichs. Nicht nur die Magenverstimmung ihres Mannes sorgte bei Andrea auf dieser Weihnachtsreise für Angstschweiß. „In Salzburg waren wir an Heiligabend um Mitternacht zum Gottesdienst. Es war so leise, man hätte eine Stecknadel fallen hören – hunderte Leute, aber eine andächtige Stille“, erinnert sie Andrea. „Collins war noch nicht mal ein halbes Jahr alt, wir hatten wirklich Panik, ob sie schreien wird“, berichtet sie über die schweißtreibende Anspannung während der Andacht.

Einen ähnlichen Moment erlebte die kleine Familie zwei Jahre später noch einmal, in Ulm. „Auch hier waren wir beim Gottesdienst“, hat Seth Hinrichs die Situation noch vor Augen. Tochter Maven war im Dezember 2018 noch keine zwei Monate alt. „Wir haben gehofft, dass auch sie ganz ruhig schlafen würde. Dann ging das Geschrei aber doch los“, erinnert sich Seth, der mit seiner Tochter die kleine Kapelle verließ, sodass Andrea dem Gottesdienst weiter beiwohnen konnte. „Es war auf Deutsch, viel verstanden habe ich nicht“, sagt sie heute, „doch ein Gottesdienst zu Weihnachten, egal wo wir sind, ist eine Tradition, die wir uns sehr gern beibehalten wollen.“

Weihnachten ist für die gläubigen Christen wahrlich ein Fest der Liebe. „In Vechta waren viele Spieler allein, wir haben dann an Weihnachten zu uns eingeladen“, berichtet Seth, der schon damals unter Pedro Calles in der niedersächsischen Kreisstadt spielte. „Egal ob jung oder alt, ob religiös oder nicht, niemand sollte an Weihnachten allein sein“, beschreibt Andrea die gelebte Nächstenliebe. „Wir hatten einen riesigen Krustenbraten, bisher das beste Weihnachtsessen außerhalb der USA.“ Und wer gibt, der bekommt auch zurück. „Wir wussten erst nicht, wie wir den Braten zubereiten sollen. Und obwohl die Mitarbeiter der Fleischerei nur sehr wenig Englisch konnten, haben sie uns das Rezept und alle Gewürze vorbereitet. Das war so unglaublich freundlich.“

Das vergangene Jahr in Manresa wurde dann nicht nur sportlich vom Corona-Virus überschattet. Spanien war eines der Länder, die in der Anfangszeit besonders stark von einem raschen Ausbruchsgeschehen betroffen war. Das südeuropäische Land verhängte einen der strengsten Lockdowns. Während der Saison 2020/21 verbrachte Seth Hinrichs die meiste Zeit im Kreis seiner Teamkollegen. „Auch Weihnachten wollten wir mit dem Team feiern, dann wurde einer der Coaches positiv getestet und wir mussten das geplante Essen absagen“, resümiert Seth Hinrichs den bisher schwierigsten Weihnachtsmoment. Aus der Not machte die Familie eine Tugend. „Wir waren bereits fertig angezogen, waren quasi dabei zu gehen. Kommando zurück – alle wieder in den Christmas-Pyjama und auf die Couch. Wir haben dann die Reste von Heiligabend gegessen und Weihnachtsfilme geschaut“, blickt Andrea auf das vergangene Jahr zurück.

Für das Jahr 2021 bleibt sich die Familie treu. Mit Töchterchen Reese wurde die Familie erneut ein kleines Stückchen größer. Die Suche nach dem passenden Gottesdienst läuft auf Hochtouren. Und der Wunschzettel ist auch reichlich bestückt – während sich die mittlerweile fünfjährige Collins ein echtes Einhorn wünscht, dem sie bereits Karotten und rote Beete unter den Weihnachtsbaum gelegt hat, träumt die dreijährige Maven von einem Nilpferd – ganz nach ihrem Lieblingsweihnachtslied ‚I want a hippopotamus for christmas‘.